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Ein Südtiroler und sein Schatz

SÜDDEUTSCHEZEITUNG:  Bozen – Am Anfang war der
Datenschatz. Zusammengetragen hatte ihn der italienische Ölkonzern Eni. Entlang
des südlichen Alpenrands führte das Staatsunternehmen in den 1950er-Jahren in
der Po-Ebene TausendeTiefenbohrungen durch. DerExplorationsdrang machte die
Region zur unterirdisch am besten erforschten Gegend Europas. Nur interessiert
hat sich niemand dafür. Denn man fand nicht, wonach Eni damals suchte: Gas oderÖl.
So warten die vergessenen Daten seit mehr als 60 Jahren auf einen Entdecker.

Jetzt ist es so weit: Ernst
Gostner, grünerStromunternehmer aus Bozen, will den Schatz heben. Dem
Südtiroler fiel die unbeachtete Schatzkarte vor fünf Jahren eher zufällig in
die Hände. Er witterte schon bald die Chance, Norditalienin ein Eldorado der Geothermie
zu verwandeln. Aus den detaillierten Bohrergebnissen suchteGostner 100
Standorte heraus, die potenziell für dezentrale Tiefenwärmekraftwerke geeignet
erscheinen. „DieVoraussetzungen für die Geothermie sind in der Po-Ebene sehr
gut“, sagt er. Nur ignorierte man im rohstoffarmen Italien die regenerative
Energiequelle konsequent.

Auch Gostner, der mit dem
Unternehmen Fri-El seit 30 Jahren aus erneuerbaren Quellen Strom herstellt,
hatte mit der Wärme aus der Tiefe nichts am Hut. Seine Leidenschaft hatte den
begeisterten Piloten zum Pionier der Windkraft in Italien gemacht. „Ich wusste,
wie der Wind bläst“, sagt Gostner. Nachher kamen noch Photovoltaik, Biogas und
Biomasse hinzu. Nun soll das vor zwei Jahren gegründeteTochterunternehmen
Fri-El Geo der Energiewende im Land einen neuen Schub geben. „Italien hat die
Geothermie bislang verschlafen“, sagt Gostner. Statt in 12000 Metern Höhe über
den Alpen zu fliegen, bohrt er jetzt 5000Meter tiefe Löcherin deritalienischen
Tiefebene. Sein Projekt heißt Pangea, wie der letzte Urkontinent der
Erdgeschichte. Der Südtiroler hat 100mögliche Standorte für
Geothermiekraftwerke aufgelistet. DieAnlagen sollenStädte, dieüber
Fernwärmenetze verfügen, aus der Tiefe klimaneutral, schadstofffrei und
zuverlässig beheizen.Würde sein Plan umgesetzt, könntenin der mit 14,8
Millionen Menschen dicht besiedelten italienischen Po-Ebene die Hälfte der
Gasthermen ausgebaut werden. Nach den Berechnungen von Fri-El Geo hätte das
einen durchschlagenden Effekt: Der Gaskonsum Italiens ginge um zehn Milliarden
Kubikmeter zurück, was einer Einsparung von 15 Prozent entspräche. Zugleich
würde sich der Ausstoß von klimaschädlichem CO2 um 17 Millionen Tonnen
reduzieren.

Hinzu kommt: Die Po-Ebene ist die
Region mit der höchsten Feinstaub-Konzentration Europas. Gostner sitzt am alten
Kornplatz im Herzen Bozens in seinem gestylten Büro und sagt: „Jeder lange Weg
beginnt mit dem ersten Schritt.“ 300 Kilometer weiter südlich, wo der Poin die
Adria fließt, nimmt das Projekt Pangea gerade Gestalt an. In Ostellato entsteht
das erste Geothermiekraftwerk Italiens, das in einem geschlossenen Kreislauf
heißesWassermit einer Temperatur von 130 bis 160 Grad aus 5800 Metern Tiefe zum
Heizen nutzbar macht. Mit einem Wasserdurchsatz von 100 bis 150 Litern pro
Sekunde bietet der Standortideale Voraussetzungen. DieAnlage soll 120 000
Wohnungen in der Umgebungmit grüner Fernwärme versorgen und zusätzlich Strom
erzeugen. Die Bohrungen sindin 3300MeterTiefe vorgedrungen. FriEls schöne neue
Heizwelt mutet an wie das Ei des Kolumbus: Sie verspricht eine saubere,
günstige und jederzeit verfügbare Energie, die Italien von Gasimporten
unabhängig macht. Da stellt sich die Frage: Warum kam man nicht früher darauf?
Der Entdecker sagt: Weil das Gas zu billig war und es keine Abgaben für
CO2-Emissionen gab. Nun setzen die Klima- und die Energiekrise die Politik, die
Wirtschaft und die Bürger unter Druck, und Gostner ist gefragt.

Ihm und seinen beiden Brüdern
Thomas und Josef war die Karriere als Erneuerer nicht vorgezeichnet. IhrVater
hattein Südtirol eine Ladenkette im Modehandel aufgebaut. Die Zukunft, da waren
die drei Brüder sicher, spielt woanders: in den erneuerbaren Energien. 1994
gründeten sie Fri-El und stiegen in Wasserkraftwerke ein. 2001 taten sich die
Start-up-Unternehmer für den Bau der ersten Windparks in Italien erst mit dem
französischen Stromkonzern Edf zusammen, später dann auch mit der RWE. Die
Kombination habe gut gepasst, sagt Gostner. Ihre Partner hatten das Geld, man
selbst den unternehmerischen Entwicklungsgeist. „So sind wir groß geworden“,
sagtGostner. 2022erzieltedas börsennotierte Unternehmen mit 1195 Megawatt
installierter Leistung 622 Millionen Euro Umsatz.

Auf die Ideemit derErdwärme
kamGostner durch die Tomaten. Sein Sohn Florian betreibt mit der Tochterfirma
Fri-El Green House in Ostellato 30 Hektar Gewächshäuser, in denen 60000
Tomatenpflanzen auch im Winter gedeihen. „Sie reißen uns die Tomaten made in
Italy aus den Händen“, sagt der Vater. Auch Edeka und Rewe gehören zu den
Abnehmern der nachhaltig produzierten pomodori. Nur verschlingt die
Jahresproduktion von 13000 Tonnen Strauch- und Kirschtomaten auch an der AdriaUnmengen
von thermischer undelektrischer Energie, sagt Gostner. Mit Biogas und
Photovoltaik komme man da im Winter nicht weit.

So kamen sieinOstellato auf die
Ideemit der Erdwärme. Fri-Els Techniker hielten den Einfall für absurd. Doch
ein Geologe, der Zugriff auf die Eni-Daten hatte, versicherte: „In 5000 Metern
habt ihr, was ihr braucht.“ Man habe die Sache dann eben weitergedacht.

Gostner macht nun verblüffende
Erfahrungen. Der Energieunternehmer ist es gewohnt, dass seine Projekte
Widerstand in der Bevölkerung hervorrufen und dass sich die
Genehmigungsverfahren für Windräder oder Solarfelder über fünf bis zehn Jahre
hinziehen. In Ostellato vergingen von der Einreichung des Antrags bis zum
Baubeginn zehn Monate. Noch erstaunlicher: Jede Woche rufen bei ihm
Bürgermeister aus halb Italien an, die gerne ein Erdwärmekraftwerk in ihrem Ort
hätten.

Nun muss nur noch die
Regierung in Rom ihren Beitrag leisten

Und auch die Stromversorger, die
heute vor der Nachfrage nach emissionsfreier Wärme kapitulieren, rennen dem
Südtiroler die Tür ein. Die ersten 20 Projekte sind bereits genehmigt.
Demnächst gehen die BohrungeninMailand los. „Wir werden wie eine junge hübsche
Frau von morgens bis abends umworben“, sagt der Fri-El-GeoChef.

Auch er muss aber buhlen – um die
Unterstützung der Regierung. Ohne staatliche Hilfe kann Gostner nicht im großen
Stil loslegen. Die Pilotanlage in Ostellato kostet 220 Millionen Euro. Ohne
eine gesetzliche Anschub-Förderung finanziere keine Bank das Projekt. Bisher
hat er 40Millionen Euro aus eigener Tasche investiert. In Rom traf der
Unternehmer schon zweimal den Umwelt- und Energieminister Gilberto Pichetto
Fratin. „Wenn ihr mit Geothermie heizen wollt, müsst ihr Geld in die Hand
nehmen“, habe er ihm gesagt. „Sonst läuft gar nichts.“ Die Politik sei zwar
hellauf begeistert, aber es fehle eben konkret an der Umsetzung.

Gostner ist aber davon überzeugt,
dass der römischen Regierung keine Wahl bleibt. Tiefengeothermie sei in Italien
auf Dauer beiWeitem die günstigste Heizungsart. Habe sich die Anlage
amortisiert, werde es nur ein paar Cent kosten, eine Kilowattstunde Wärme
hochzupumpen – gegenüber 40 bis 50 Cent für Erdgas. „Dann wird keiner mehr eine
Gastherme installieren, sondern sich einem Fernwärmeheizwerk anschließen“, sagt
er.

BY ULRIKE SAUER, OKTOBER 23, 2023

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geothermie-heizen-energiewende-italien-fri-el-1.6291553

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